Sichelschmiede
Werkstatt für Friedensarbeit in der Kyritz-Ruppiner Heide
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Munitionsbelastung
Ein großes Hindernis bei allen Überlegungen für eine zivile Nutzung der freien Heide ist die Munitionsbelastung auf dem Gelände.
Das Gebiet wurde von den sowjetischen (später russischen) Streitkräften
und ihren Verbündeten zwischen 1949 und 1993 für Übungen des Heeres und
der Luftwaffe benutzt. Dabei wurde sowohl Übungsmunition als auch
scharfe Munition benutzt. Letztere umfasst alles von einfachen
Gewehrpatronen bis zu Bomben, deren Explosion noch in 1000 m Entfernung
zu Schäden führen kann.
In der Broschüre Die Kyritz-Ruppiner Heide natürlich entwickeln (Herausgeberin: Die Linke im Bundestag) lesen wir dazu:
"Die bislang aufgefundenen Kampfmittel verdeutlichen,
dass nahezu das gesamte „Repertoire“ vorhanden
ist. Hierzu zählt Pioniermunition, Hand-, Gewehr- und
Panzerfaustgranaten, Munition für Handwaffen und
Maschinengewehre (< 12,7 mm), Rohrwaffenmuniti-
on (Panzer-, Artilleriemunition), Minen, Werfer- und
Mörsermunition, gesteuerte Flugkörper und Raketen
sowie Abwurfmunition (Spreng-, Splitter- und Brand-
bomben)."
Ein großer Teil der scharfen Munition ist damals explodiert, und von
den Blindgängern (also von der Munition, die nicht wie vorgesehen
explodiert ist) wurde ein großer Teil durch die Armee nach den Übungen
eingesammelt. Dennoch verbleiben auf dem Gelände zahlreiche
Blindgänger, die noch heute explodieren oder aber noch Jahrzehnte ruhig
in der Erde liegen können. Blindgänger sind keine Minen; sie sind nicht
dafür gebaut, bei Berührung in die Luft zu gehen. Andererseits können
sie jederzeit durch Berührung oder spontan explodieren.
Es gibt auf dem Gelände tatsächlich auch eine Art Minen, nämlich die
Streumunition. Diese heute durch eine internationale Konvention
geächteten Waffen funktionieren so, dass beim Abwurf aus einem großen
Behälter viele kleine Bomben - in diesem Fall knapp tennisballgroße
Kugelbomben - im Gelände verteilt und scharf gemacht werden. Sie
explodieren bei Berührung. Die sowjetische Armee hat mit diesen Bomben
vor dem Afghanistankrieg in zwei Manövern geübt. Es liegen von beiden
Übungen Protokolle vor, aus denen recht genau zu ersehen ist, wo diese
Bomben liegen können. Dabei handelt es sich um ein Gelände von ca. 400
ha. Ebenfalls hochgefährlich sind die sogenannten Schmetterlingsbomben,
die wie Kugelschreiber oder Spielzeug aussehen und im Krieg besonders
Kinder gefährden sollen. Diese beiden Waffengattungen wurden
entwickelt, um im Kriegsfall möglichst viele Menschen zu verletzen und
andere bei der Versorgung der Verletzten zu binden. Die Bundesrepublik
Deutschland hat sich in einem Internationalen Abkommen zur Räumung der Streumunition verpflichtet.
Die Munitionsbelastung ist nicht gleichmäßig über die gesamte freie
Heide verteilt. Es gibt hoch belastete Gebiete mit extrem gefährlicher
Munition, mittelstark belastete Gebiete und Gebiete, die nicht mehr
belastet sind als die Umgebung. Niemand weiß genau, was wo liegt; aber
durch Analyse der vorliegenden Informationen über die auf dem Platz
durchgeführten Übungen sowie durch Untersuchungen von Testfeldern
lassen sich gewisse Aussagen treffen.
- Ca. 33 % der Gesamtfläche des ehemaligen Bombodroms waren in der
Zeit der militärischen Nutzung Bereiche ohne Schießbetrieb. Diese
Flächen liegen nördliche der L15 sowie in den Randbereichen im Westen,
Süden und Osten.
- Der Bereich nördlich der Linie Gadow - Basdorf wurde als
Heeresschießplatz benutzt. Wo mit Panzern und motorisierten Truppen
geübt wurde, ist mit mittlerer bis hoher Belastung zu rechnen;
besonders hoch dürfte die Kampfmittelbelastung im ehemaligen Zielgebiet
der Artillerie sein (z.B. am Zootzener Damm).
- Die gefährlichsten Überreste der militärischen Nutzung liegen auf
dem "Bombodrom" im engeren Sinne, der Fläche südlich der Linie
Basorf-Gadow, wo die Luftwaffe Bombenabwürfe und Bordkanonenschießen
geübt hat.
Dort werden unter anderem Bomben mit großer Sprengwirkung vermutet, und
in diesem Bereich liegen auch die 400 ha, auf denen Streubomben liegen
könnten.
Die Bundeswehr hatte das Gelände in drei unterschiedliche Belastungszonen eingeteilt.
Noch heute weisen blaue, rote und weiße Dreiecke an den Wegrändern auf diese Zonen hin.
Da wir selber keinen Zuganz zu den entsprechenden Untersuchungsergebnissen haben,
übernehmen wir für die Richtigkeit der folgenden Angaben keine Haftung.
- Zone A oder die weiße Zone gilt als am geringsten belastet.
Hierzu gehört der gesamte Bereich nördlich der L15 und ein Streifen südlich der L15,
sowie der Großteil der von der Heinz-Sielmann-Stiftung übernommenen Fläche im Süden (Nationales Naturerbe). Für die Soldaten der Bundeswehr galt in diesem Bereich: Sie konnten sich frei bewegen und auch die Wege verlassen.
- Zone B oder die blaue Zone gilt als mittelstark belastet; hier
werden weniger und keine der besonders gefährlichen Kampfmittel
vermutet. Für die Bundeswehrsoldaten galt hier: Die Zone wird nur auf
ausdrücklichen Befehl betreten und die Wege werden dort nicht verlassen.
- Zone C oder die rote Zone ist die am schwersten munitionsbelastete
Zone. Auch die Soldaten der Bundeswehr durften sie nur in Anwesenheit
eines Sprengstoffexperten ("Feuerwerker") und nur auf ausdrücklichen
Befehl betreten.
Für die zivile Nutzung sind diese Zonen rechtlich irrelevant, da
Zivilist_innen nicht das gleiche Risiko zugemutet werden soll wie
Menschen, die den Beruf des Soldaten oder der Soldatin gewählt haben.
Allerdings könnte die Information, die zur Einteilung der Zonen geführt
hat, auch für die zivile Nutzung relevant sein.
Das Problem ist aber: über viele der von der
Bundeswehr durchgeführten Sondierungen und Beräumungen sind keine Unterlagen mehr auffindbar.
Dies trifft für von der Bundeswehr selbst durchgeführte Maßnahmen zu, aber auch für Untersuchungen,
die von beauftragten Firmen vorgenommen wurden.
Maßnahmen zum Umgang mit der Munitionsbelastung
Die Arbeitshilfen Kampfmittelräumung präzisieren im "Phasenschema Kampfmittelräumung", was auf Kampfmittelbelasteten Flächen zu geschehen hat:
- Phase A: Historische Erkundung der möglichen Kampfmittelbelastung und Bewertung
- Phase B: Technische Erkundung der möglichen, festgestellten Kampfmittelbelastung und Gefährdungsabschätzung.
- Phase C1: Räumkonzept, Ausschreibung und Vergabe der Leistungen.
- Phase C2: Räumung, Abnahme und Dokumentation.
Das Berliner Ingenieurbüro Döring hat im Januar 2011 ein im Auftrag der
Leitstelle des Bundes für Kampfmittelräumung erstelltes "Strategisches
Handlungskonzept Kampfmittelräumung" vorgelegt. Dies ist nicht - wie
der Name vermuten ließe - eine Handlungsanleitung für die Beräumung,
sondern eine Zusammenfassung des Ist-Zustandes. Darin werden
Beräumungen im Zeitraum 2001 bis 2011 von aufgeführt.
- 2001 wurden zunächst 399 Testfelder auf dem gesamten Gelände beräumt (Phase B).
- Von September 2002 bis April 2003 wurden 41,8 ha beräumt - ausschließlich Bereiche,
die die Bundeswehr für ihre Übungen kampfmittelfrei haben wollte (Phase C).
- Die historisch-genetische Rekonstruktion fand erst 2003 statt (Phase A).
- Von September 2003 bis Januar 2004 wurden nochmal 412 Testfelder beräumt (nochmal Phase B).
Die waren jetzt allerdings nicht mehr gleichmäßig über das Gelände verteilt, sondern befanden
sich zumeist in Bereichen, die für den geplanten Übungsbetrieb der Bundeswehr wichtig waren.
Das hat zweierlei zur Folge: Zum einen, dass über die Randbereiche des Platzes heute weniger
Information vorliegt als über die zentralen Bereiche. Zum anderen, dass die Ergebnisse der
Testfelduntersuchungen nicht repräsentativ für das gesamte Gelände sind.
Sie sind in überdurchschnittlich stark belasteten Gebieten erfolgt.
- Von Juni bis Dezember 2003 wurden vor allem Rettungswege, ein Sprengplatz,
ein Munitionsaufbereitungs- und Zwischenlager und Brandschutzriegel beräumt. (Phase C)
Der letzte Punkt der Phase C (Dokumentation) scheint aber nicht funktioniert zu haben.
Eigentlich sollten Protokolle alle erfolgten Beräumungen
an vier Stellen vorhanden sein: Bei der Bundeswehr, beim Landkreis, beim Kampfmittelräumdienst und
bei der Leitstelle des Bundes für Kampfmittelräumung. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall.
Auch das "Strategische Handlungskonzept Kampfmittelräumung" enthält keinerlei Information über die
Lage der Testfelder, auch nicht darüber, welche der 4879 Stück Kampfmittel wo genau gefunden wurden.
In einer Stellungnahme vom Februar 2011 schreibt dazu Meinhard Voigt (Arbeitskreis zivile Nutzung):
"Durch Testfelduntersuchungen mit insgesamt 811 Testfeldern (a 250m2) wurden bisher 0,085% der Gesamtflächen der Liegenschaft erfasst.
Es wurden keine Karten vorgelegt, aus denen die Lage der Testfelder und die Detailbelastung hervorgehen, obwohl diese Karten seinerzeit wesentliches
Ergebnis der durchgeführten und schon einmal bezahlten Arbeiten waren.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Dichte der Testfelder für Teilregionen der Liegenschaft und deren mögliche Nutzung ausreichend ist und keine weiteren,
teuren Untersuchungen erfordern."
Uns liegt eine Präsentation von Oberstleutnant Hering vor, dem früheren Standortkommandanten in der Kyritz-Ruppiner Heide.
Sie enthält eine Karte des Ingenieurbüros Döring, auf der die Lage der Testfelder verzeichnet ist, sowie Zahlen über die Ergebnisse der Munitionsräumung von 1994-2007.
Insgesamt wurden in diesem Zeitraum auf einer Fläche von 136,8369 ha insgesamt 119.247 Stück Munition im Gewicht von 663,059 t und Schrott im Gewicht von 46,753 t beseitigt und dafür 4.714.125 Euro ausgegeben.
Die Zahlen sind hier genauer aufgeschlüsselt als im "Strategischen Handlungskonzept",
aber auch hier gibt es keine Angaben über die Ergebnisse auf den einzelnen Testfeldern.
Die Zahlen in der Präsentation bestätigen aber die oben genannte Aussage, dass die 2003/2004 untersuchten Testfelder nicht repräsentativ für das gesamte Gebiet waren:
2001 wurden auf 10000 ha (über das gesamte Gelände verteilt) 838 Stück Munition gefunden, 2003/2004 auf 10000 ha (in Bereichen, die für den geplanten Übungsbetrieb der Bundeswehr wichtig waren) 4770 Stück.
Was müsste passieren, damit Wege oder Flächen in der freien Heide zum Betreten freigegeben werden können?
Grob gesagt, gibt es dazu je nach Belastungsgrad und geplanter Nutzung drei Möglichkeiten:
- Eine Fläche wird sondiert, und es stellt sich heraus, dass sie nicht mit gefährlichen Kampfmitteln belastet ist. Dann kann sie freigegeben werden.
Im Falle von freigegebenen Wegen durch nicht freigegebene Flächen müssten Warnschilder darauf hinweisen, dass das Verlassen des Weges verboten ist.
- Die Sondierung ergibt, dass nur an einzelnen Stellen gefährliche Munition liegt; diese wird gezielt geräumt, dann kann der Weg oder die Fläche freigegeben werden.
- Die Sondierung (oder auch schon der Augenschein oder das historische Wissen) ergibt, dass eine starke Munitionsbelastung vorliegt.
Solche Flächen können nur dadurch wieder für Menschen zugänglich gemacht werden, dass auf (je nach Munitonsart) bis zu 6m Tiefe alles regelrecht durchgesiebt wird.
Dies ist ein massiver Eingriff in die Natur. Die folgenden Fotos zeigen eine in dieser Art beräumte Fläche.
Um überhaupt etwas von der Flora und Fauna zu erhalten, müsste man Flächen schachbrettartig beräumen, also zwischen zwei beräumten Quadraten immer eines unberäumt lassen,
damit die Pflanzen und Tiere sich von dort wieder auf die beräumte Fläche ausbreiten könnten.
Die Bundeswehr hat diese Fläche beräumt, um sie als Zielgebiet nutzen zu können; Aufnahmen von 2003 und 2005.
Wie geht es nun weiter mit der Sondierung und Beräumung von Kampfmitteln?
- Die BImA hat einen Auftrag im Umfang von 500.000 Euro vergeben, um
die Munitionsbelastung auf den Betriebswegen zu sondieren sowie auf
Flächen, die nahe an Ortschaften und öffentlichen Straßen liegen.
(Letzteres hatte die Bundeswehr bisher versäumt.) Im Frühjahr 2014 sollen die Ergebnise vorliegen.
Sollte hierbei Munition gefunden werden, die eine so hohe Sprengkraft hat und so nahe am Rand liegt,
dass sie bei einer Explosion die Menschen in den Ortschaften oder auf den vorbeiführenden Straßen gefährden würde, so soll diese Munition bis Ende 2014 geräumt werden.
Ähnliches gilt für die Betriebswege. Eine vollständige Beräumung der untersuchten Flächen ist nicht vorgesehen.
- Auch die 400 ha, auf denen Streumunition vermutet wird, sollen beräumt werden.
Das ist schwierig, und es ist noch nicht klar, wann und wie es geschehen soll; dies soll in Fachgesprächen geklärt werden. (Stand Okober 2012) Bis 2019 müssen die Streubomben geräumt sein.
- Auf ca. 1,2 ha werden Antipersonenminen vermutet; derzeit wird geprüft, ob dieser Bereich komplett "auf links gedreht" werden muss.
- Als
nächstes sollen dann nach und nach Flächen im Süden (im Bereich der
Sielmann-Stiftung) sowie nördlich der L15 sondiert werden.
Für den Süden treibt die Sielmann-Stiftung diese Untersuchungen voran, weil
sie die Flächen bald für Besucher_innen öffnen möchte. Was den Norden
betrifft, so setzen sich die Anwohner_innen (vor allem aus Zempow)
dafür ein; allerdings ist hier die Frage der Finanzierung noch völlig offen.
Eine Beräumung ist in diesen Bereichen derzeit noch nicht konkret im Gespräch.
Es soll erstmal sondiert und dann das weitere Vorgehen geplant werden.
- Die
Beräumung von Flächen mit hoher Munitionsbelastung im südlichen und
zentralen Bereich liegt in der Prioritätenliste der BImA ganz weit
hinten. Für einige schwer belastete Gebiete ist sogar ein völliger
Verzicht auf Räumung im Gespräch; hier soll sich einfach Wildnis
entwickeln. Das bedeutet: Schlechte Karten für diejenigen, die sich
eine baldige Öffnung der Querverbindung Gadow - Dorf Zechlin und
Gadow-Basdorf wünschen. Weil in diesem Bereich Muniton mit starker
Sprengkraft vermutet wird, wäre für die Freigabe dieser Wege eine
Sondierung und Beräumung von einem Streifen bis zu 1 km rechts und
links der Wege nötig.
Wir möchten einen kleinen Vergleich anbringen, um die Dinge in Relation zu setzen.
Für die Kampfmittelräumung in einem gering belasteten Gebiet (Zone A) werden als Schätzwert 1,18 Euro / m2 veranschlagt.
Eine Flugstunde eines Eurofighters kostet 73.992 Euro. Durch den Verzicht auf eine einzige Flugstunde
eines Eurofighters könnten also 62705 m2 beräumt werden, das sind über 6 ha.