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Analyse zum "Konzept für die Nutzung der Luft/Boden-Schießplätze in der Bundesrepublik Deutschland (L/BSchPl Konz 2008)"

Stand: 6. November 2008

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Am 30. Oktober 2008 veröffentlichte der Ruppiner Anzeiger als erste Zeitung Auszüge aus einem vertraulichen Papier des Bundesverteidigungsministeriums mit dem Titel „Konzept für die Nutzung der Luft/Boden-Schießplätze in der Bundesrepublik Deutschland“. Andere Zeitungen zogen nach. Inzwischen wird über die Bedeutung des Papiers heftig debattiert. Das Verteidigungsministerium dementiert, dass darin irgend etwas Neues stünde. Der Petitionsausschuss hat seine für den 5. November geplante Entscheidung über die Petitionen zum Bombodrom vertagt, um zunächst von Verteidigungsministerium noch Antworten zu bekommen auf die Fragen, die das Papier aufwirft.

Wir haben das Konzept analysiert und fassen hier die Ergebnisse zusammen.

 

Was ist neu in dem Papier?

Die wichtigsten neuen Informationen sind aus unserer Sicht

- die Bestätigung, dass die Bundeswehr 85 Tornados auch über 2017 hinaus behalten will – das bedeutet, dass auch nach der derzeitigen Umstrukturierung der Luftwaffe noch Trägersysteme für die derzeit in Büchel lagernden Atombomben vorhanden sein werden;

- die Aussage, dass die Bundeswehr in Zukunft verstärkt taktische Einsatzverfahren mit Zusammenwirken von Luft- und Bodentruppen üben will und dass diese Übungen im Wesentlichen in Wittstock stattfinden sollen;

- die Information, dass die Bundeswehr solche Szenarien derzeit auf zahlreichen anderen Truppenübungsplätzen in Deutschland übt, die nicht als Luft/Boden-Schießplätze konzipiert sind;

- die Tatsache, dass die Bundeswehr auch nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom Juli 2007 nicht bereit ist, geltendes Recht zur Grundlage ihrer Planungen zu machen.

Unsere Schlussfolgerungen aus dem Papier im Einzelnen:

Zur Rechtslage

Zu Übungen mit Atombomben-Attrappen

Zu Übungen mit Bodentruppen

Zum Zeitplan der Bundeswehr

Zur Rolle von Wittstock als Übungsplatz für NATO und EU

Zur Verteilung der Einsätze

Zu Luftwaffenübungen auf anderen Truppenübungsplätzen

Es gibt keinen „Plan B“

 

Zur Rechtslage

Dass die Bundeswehr gerne das ehemalige Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide nutzen möchte ist klar. Dass sie dazu Studien anfertigt, ist ihr unbenommen. Nach geltender Rechtslage nach 23 Gerichtsverfahren ist der Bundeswehr aber die militärische Nutzung untersagt. Nach dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichtes Brandenburg vom 27. 12. 2001 hat die Bundeswehr das ehemalige Bombodrom nicht als "Truppenübungsplatz" zu bezeichnen. Bei Zuwiderhandlung wurde ein Zwangsgeld angedroht. Trotzdem tut sie das auf ihrer offiziellen Homepage www.streitkraeftebasis.de/portal/a/streitkraeftebasis/kcxml/ und im vorliegenden Konzept.

Am 31. Juli 2007 verbot das Verwaltungsgericht Potsdam die militärische Nutzung des Platzes mit der Begründung, dass keine ausreichende Abwägung der widerstreitenden Interessen stattgefunden habe. Im damaligen Prozess wurde bemängelt, dass das Betriebskonzept nur sehr schwammige Aussagen enthalte zu Flugrouten, Flughöhen, Häufigkeit und Art der Einsätze, so dass eine Abschätzung der Belastung für AnwohnerInnen gar nicht möglich sei. Am jetzt bekannt gewordenen Konzept für die Luft/Boden-Schießplätze in Deutschland fällt auf, dass zu diesen Fragen dort so gut wie gar nichts gesagt wird. Das Betriebskonzept für Wittstock hatte immerhin noch Angaben zu Einflug- und Ausflugwegen sowie Betriebszeiten enthalten. Im neuen Konzept schweigt sich die Bundeswehr hierzu komplett aus. Der Gedanke der Abwägung taucht hier allenfalls andeutungsweise auf im folgenden Satz:

„Die Nutzung der L/BSchPl im Inland steht dabei im Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit einer einsatzorientierten Ausbildung zum Erhalt der insbesondere für internationale Verpflichtungen (laufende Einsätze, NATO Response Force, EU Battle Groups, UN Standby Arrangement System) erforderlichen hohen Einsatzbereitschaft und der politischen Vorgabe, die mit dem Übungsbetrieb der Bundeswehr einhergehenden Belastungen für die Bevölkerung gleichmäßig und solidarisch zu verteilen.“

Wie groß die Belastungen für die Bevölkerung sind und ob sie im Verhältnis stehen zum „Nutzen“, bleibt völlig offen. Die Bundeswehr setzt sich hier völlig über alle juristischen Anforderungen an eine Verwaltungsentscheidung hinweg. Das Konzept ist ein Schlag ins Gesicht der Potsdamer Richterinnen.

Große Ignoranz gegenüber den Belangen der AnwohnerInnen beweist der Satz

„Durch die Größe des Platzes und die Lage in nur gering besiedeltem Gebiet ist die zu erwartende Belastung durch den Übungsflugbetrieb deutlich niedriger als im Umfeld der L/BSchPl NORDHORN und SIEGENBURG.“

Zwar ist das Gebiet ums Bombodrom weniger dicht besiedelt als etwa die Gegend um Nordhorn, aber die nächsten Ortschaften liegen dort deutlich näher am Zielgebiet als in Nordhorn und Siegenburg.

Doch es kommt noch schlimmer. Nicht „nur“ die im Verwaltungsrecht gebotene Güterabwägung bleibt außen vor, auch bei Grundgesetz und Völkerrecht handelt die Bundeswehr offenbar nach der Devise „legal – illegal – scheißegal“.

Auf Seite 3 werden die Grundlagen und Rahmenbedingungen benannt. Dabei fehlen das Grundgesetz (insbesondere Artikel 25, 26 und 87a), das Völkerrecht und §80 StGB.

Benannt wird u.a. das "ACO FORCES STANDARDS Volume VI (SHAPE Tactical Evaluation Manual)" und das "Bewaffnungskonzept für fliegende Plattformen der Luftwaffe (Entwurf)"

Nach dem ersten wird u.a. das Verfahren der Luftwaffe bei der Umsetzung der "nukleare Teilhabe" geregelt (siehe unten). Der NATO-Vertrag von 1949 regelt die Stationierung von Atomwaffen. In Deutschland sind nach wie vor Atombomben stationiert. Diese "nukleare Teilhabe" aber ist völkerrechtswidrig. Der Nichtverbreitungsvertrag, besser bekannt als Atomwaffensperrvertrag, verbietet gleich im Artikel 1, dass Staaten, die über Atomwaffen verfügen, die Kontrolle über diese Waffen an nichtnukleare Staaten wie Deutschland abgeben. Das gilt - so haben die Vertragsstaaten es festgelegt - zu jeder Zeit und unter allen Umständen, also auch im Krieg. Außerdem sind Atombomben nach den strengeren Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts geächtet. Danach sind Waffen geächtet, die unterschiedslos SoldatInnen und Unbeteiligte töten. Das humanitäre Kriegsvölkerrechts ist über Artikel 25 GG in Deutschland geltendes Recht.

Bewaffnete fliegende Plattformen sind Angriffswaffen. Sie gehören zur Kategorie Unmanned Aerial Vehicle (UAV), d.h. unbemanntes Luftfahrgefährt. Über Satellitenkommunikation und eine Bodenkontrollstation (auch mobil) können sie weltweit mit ihren Bordraketen angreifen. Die USA und Israel haben dieses Waffensystem (RQ-I Predator MAE UAV) eingesetzt um gezielt Menschen in Palästina, Afghanistan, Irak, Syrien und Pakistan zu töten. Dabei wurden fast immer auch unschuldige Zivilisten getötet. Das Üben von Einsätzen mit Angriffswaffen verstößt gegen Artikel 26 des Grundgesetzes. Die Vorbereitung eines Angriffskrieges ist nach §80 StGB zu bestrafen. Daher sollte nach Prüfung des Bewaffnungskonzeptes für fliegende Plattformen der Luftwaffe untersucht werden, ob gegen Generalleutnant Stieglitz als Inspekteur der Luftwaffe Anzeige erstattet werden kann, um gegen ihn ein Strafverfahren einzuleiten.

Zu Übungen mit Atombomben-Attrappen

Schon länger hatten wir uns gefragt, was mit den Atombomben in Büchel geschehen soll, wenn bis 2017 alle Tornados (die bisher als Trägersysteme für diese Atombomben fungieren) durch Eurofighter ausgetauscht werden, die für den Abwurf von Atombomben nicht geeignet sind. Vermutet hatten wir es schon länger, jetzt lesen wir es schwarz auf weiß: Die Bundeswehr will auch über 2017 hinaus 85 Tornados behalten.

Allerdings werden nicht die Tornados in Büchel bleiben, sondern ECR-Tornados in Lechfeld, IDS-Tornados in Lechfeld, Kaufbeuren und Holloman (USA) und RECCETornados in Jagel. ECR-Tornados und RECCE-Tornados sind mit besonderer Technik zur Luftaufklärung ausgestattet, ECR-Tornados hatten im Jugoslawienkrieg die Rolle, mit computergelenkten HARM-Raketen die jugoslawische Luftabwehr auszuschalten. Diese speziell ausgestatteten Tornados können aber genau wie die einfacheren IDS-Tornados mit ungelenkter Munition und damit auch mit Atombomben bestückt werden. Auf Seite 9 des vorliegenden Konzepts heißt es:

„Alle Luftfahrzeugbesatzungen (LFB) TORNADO sind zum Einsatz ungelenkter Abwurfmunition gem. ACO FORCES STANDARDS Volume VI (SHAPE Tactical Evaluation Manual) zu befähigen.“

Allerdings liegen sowohl Jagel (Schleswig-Holstein), Kaufbeuren (Bayern) und Lechfeld (Bayern) weit weg sowohl von Büchel, wo derzeit die Atombomben liegen, als auch von Ramstein, wo Kapazitäten für ihre Lagerung vorhanden wären. Hier gilt es weiter zu recherchieren.

Dass tatsächlich weiter für Atombombenabwürfe geübt werden soll, beweist ein Satz auf Seite 10:

"Der Bedarf an Einsätzen im Rahmen der Nuklearen Teilhabe leitet sich aus den ACO FORCES STANDARDS Volume VI ab."

Wir haben hierzu bisher nur herausgefunden, dass das Volume VI den Titel „TACEVAL (AIR)“ trägt.

An mehreren Stellen im Papier wird bedauert, dass das LOFT-Verfahren (Schulterwurf, Verfahren zum Abwurf von Atombomben) weder in Nordhorn noch in Siegenburg geübt werden könne – nur Wittstock sei dafür groß genug. Wir wissen aber von Augenzeugen, die in Nordhorn vor einigen Jahren solche Übungen beobachtet haben. Es schein zu stimmen, dass das Verfahren dort aktuell nicht geübt wird.

Offensichtlich unterliegen aber die Informationen über Atombomben so strenger Geheimhaltung, dass sie auch in diesem internen Papier der Bundeswehr nur andeutungsweise zu finden sind. So ist im Detail der Bedarf an verschiedenen Übungen aufgeführt, wobei das Loft-Verfahren aber immer ausgeklammert wird.

Zu Übungen mit Bodentruppen

Dass auf dem Bombodrom-Gelände Übungen mit Bodentruppen stattfinden sollen, steht schon im „Betriebskonzept für den Luft/Boden-Schießplatz auf dem Truppenübungsplatz WITTSTOCK“ vom Januar 2003. Dort heißt es:

„Es ist geplant, den Truppenübungsplatz neben der fliegerischen Nutzung auch für die Ausbildung von Bodentruppen zu nutzen. Auf dem Platz sind Übungen von Flugabwehrraketenverbänden, Elektronischen Kampfführungs-, Objektschutz-, Radarführungs-, und Einsatzführungs-Kräften mit Truppenstärken bis 1.000 Soldaten an ca. 80-100 Tagen im Jahr geplant.“

Die derzeitige Aufregung um diese Information zeigt aber, dass sie bisher weder von Parlamentariern noch vor Gericht bei der Güterabwägung berücksichtigt wurde. Sie stand allerdings im bisherigen Betriebskonzept auch nur als kleine Bemerkung am Schluss. Im neuen Konzept stehen die taktischen Übungen im Zusammenwirken mit Bodentruppen deutlich im Mittelpunkt:

„Gegenüber der Befähigung zum Einsatz ungelenkter Abwurfmunition, deren Erhalt in erster Linie durch das häufige Üben von Standardverfahren mit dem Einsatz von Übungsmunition sichergestellt wird (Quantität), erfordert der Erhalt der Befähigung zum Einsatz von gelenkter, abstandsfähiger Munition das Üben komplexer Einsatzverfahren in unterschiedlichen taktischen Szenarien (Qualität). Aktuelle Einsatzszenarien zeigen, dass diese Verfahren insbesondere im Zusammenwirken mit den Landstreitkräften sowie mit Kräften und Mitteln der bodengebundenen Luftverteidigung geübt werden müssen.

Darüber hinaus zeichnet sich in Folge der technischen Weiterentwicklung sowie der Entwicklung im Bereich der vernetzten Operationsführung für die Zukunft die Tendenz hin zu qualitativ hochwertigen Übungsszenarien mit einem daraus resultierenden Bedarf an geeigneten Übungsräumen ab.“ (S. 5)

„Mit taktischen Einsatzübungen wird auf der Grundlage der im Rahmen von Standard- Einsatzübungen erworbenen Fähigkeiten der Waffeneinsatz unter Anwendung taktischer Verfahren im gesamten Einsatzspektrum von Luftstreitkräften und unter angenommener bzw. simulierter Bedrohung geübt. In DEU erfüllt hierfür ausschließlich der L/BSchPl WITTSTOCK die qualitativen Voraussetzungen. In begrenztem Umfang können im Rahmen freier Kapazitäten unter Inkaufnahme qualitativer Einschränkungen auch Truppenübungsplätze genutzt werden.

Im Rahmen vernetzter Operationsführung und vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung Streitkräftegemeinsamer Taktischer Feuerunterstützung (STF) gewinnen streitkräftegemeinsame Übungen, insbesondere die Integration von Land- und Luftoperationen, an Bedeutung. Streitkräftegemeinsame Einsätze werden in der Regel unter Führung eines Fliegerleitoffiziers durchgeführt. Sofern diese Übungen innerhalb von L/BSchPl oder Truppenübungsplätzen stattfinden, kann dabei Übungs- bzw. Gefechtsmunition eingesetzt werden.“ (S. 5)

In den achtziger Jahren entwickelten US-amerikanische Militärs die Strategie der „AirLandBattle“ und AirLandBattle 2000“. Hier wurde erstmals die Strategie der Kriegsverhinderung durch Abschreckung verlassen und eine Strategie entwickelt, wie moderne Kriege unter Einsatz des gesamten Waffenarsenals von Luftwaffe, Heer und Marine führbar gemacht werden. Auch der Ersteinsatz taktischer Atombomben war durch die NATO in diesem Zusammenhang erstmals geplant. Was wir derzeit erleben, ist die Weiterentwicklung dieser Strategie für die aktuellen und zukünftigen Kriege um Ressourcen und Vorherrschaft in der Welt.

Zum Zeitplan der Bundeswehr

In verschiedenen Pressemitteilungen wird derzeit berichtet, die Bundeswehr wolle ab 2017 in Wittstock Übungen mit Bodentruppen durchführen. Das ist ein Missverständnis: Solche Übungen sind deutlich früher geplant. Bis zum Jahr 2017 soll die Umstrukturierung der Luftwaffe abgeschlossen sein, d.h. bis dahin wird der Großteil der Tornados ausgemustert und durch Eurofighter ersetzt. Tornados werden hauptsächlich zum Abwurf ungelenkter Bomben im Tiefflug eingesetzt. Eurofighter dagegen sind mit computergesteuerten Waffen ausgestattet, die aus großer Höhe abgeworfen werden. Aus dem Papier geht hervor, dass beim Training für den Abwurf ungelenkter Bomben vor allem die Quantität zählt, d.h. die Besatzungen der Flugzeuge müssen die Abwürfe im „Standardverfahren“ sehr oft üben, um zielgenau treffen zu können. Bei den gelenkten Waffen ist das Treffen nicht schwierig – hier müssen die Piloten üben, wie sie aus großer Höhe mit den Bodentruppen taktisch zusammenwirken. Dabei kommt es auf die Qualität der Übung an, d.h. es muss nicht so oft geübt werden, aber ein komplexes Szenario aufgebaut werden.

Das heißt: solange es noch viele Tornados gibt, gibt es viele Tiefflugübungen. Je mehr diese Tornados durch Eurofighter ersetzt werden, umso mehr verlagert sich der Übungsbedarf hin zu selteneren, aber komplexeren Übungen mit Bodentruppen. Die “Bedarfsberechnung“ im Konzept bezieht sich auf den geplanten Zustand im Jahr 2017. Bis dahin sind mehr Tiefflugübungen und weniger taktische Übungen mit Bodentruppen und gelenkten Waffen zu erwarten.

Wir gehen davon aus, dass die Bundeswehr im Zuge der Umsetzung des „European Headline Goal 2010“ bis zum Jahr 2010 (vielleicht auch etwas später) den Trainingsbedarf für multinationale Trainings im Rahmen der „European Battle Groups“ festlegen wird. Danach dürfte dann der Druck, Wittstock für diese Übungen zu nutzen, erheblich steigen.

Zur Rolle von Wittstock als Übungsplatz für NATO und EU

Im Konzept von 2003 hieß es noch kurz und knapp:

„Es ist beabsichtigt, den Platz als Luft-Boden-Schießplatz durch deutsche und alliierte Luftstreitkräfte zu nutzen.“

Das neue Konzept geht hier mehr ins Detail:

„Die Nutzung der L/BSchPl im Inland steht dabei im Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit einer einsatzorientierten Ausbildung zum Erhalt der insbesondere für internationale Verpflichtungen (laufende Einsätze, NATO Response Force, EU Battle Groups, UN Standby Arrangement System) erforderlichen hohen Einsatzbereitschaft und der politischen Vorgabe, die mit dem Übungsbetrieb der Bundeswehr einhergehenden Belastungen für die Bevölkerung gleichmäßig und solidarisch zu verteilen. Darüber hinaus gebietet die Solidarität im Bündnis, unter dem Gesichtspunkt der Reziprozität auch den Luftstreitkräften der NATO-Partner Ausbildungsmöglichkeiten in DEU zur Verfügung zu stellen. Vor diesem Hintergrund ist es politisch geboten und Operationen unumgänglich, einen gegenüber früheren Jahren deutlich größeren Anteil der insgesamt erforderlichen L/BSchPl-Einsätze der Luftwaffe im Inland, auf den L/BSchPl WITTSTOCK, NORDHORN und SIEGENBURG durchzuführen.“

Unserer Meinung nach handelt es sich hier aber um Entwicklungen, die schon 2003 durchaus absehbar waren. Ein entscheidender Unterschied zwischen den beiden Papieren ist der: Das Betriebskonzept von 2003 war sozusagen unmittelbar für die Gerichte und die Öffentlichkeit geschrieben. Es wurde erlassen, weil die Gerichte darauf bestanden, dass ohne einen solchen Verwaltungsakt kein Betrieb des Übungsplatzes möglich ist. Das neue Konzept dagegen ist ganz deutlich nicht für die Öffentlichkeit geschrieben. Schon die Sprache ist ganz anders als bei für die Öffentlichkeit bestimmte Verlautbarungen des Verteidigungsministeriums, wie beispielsweise im Weißbuch. Offen werden die Bezeichnungen "Luftangriff" und "Luftangriffskräfte der Bundeswehr" gebraucht.

Zur Verteilung der Einsätze

Die Bundeswehr nennt in ihrem Konzept Bedarfsprognosen und Pläne für die Zahl der Einsätze an den verschiedenen Orten. Die Zahlen sind etwas unübersichtlich dargestellt. Z.B. fehlen Angaben zum Loft-Verfahren gänzlich, Angaben zur Verteilung der verschiedenen Übungsarten auf die Plätze werden nicht gemacht und erschließen sich nur teilweise durch die vorangegangene Beschreibung der Möglichkeiten auf den unterschiedlichen Plätzen. Wir haben trotzdem mal ein wenig herum gerechnet und festgestellt: Übungen für Standardverfahren (Bombenabwurf im Tiefflug) müssten nach dieser Aufstellung in Wittstock gar nicht durchgeführt werden, weil schon in Nordhorn und Siegenburg zusammen die Zahl der geplanten Einsätze über dem errechneten Bedarf liegt. Wittstock wäre demnach vor allem der Ort für die taktischen Übungen mit Bodentruppen und für das Loft-Verfahren. Wir glauben aber nicht, dass sich die Einsätze wirklich so verteilen, denn wenn die Bundeswehr in Wittstock gar keine Tiefflüge durchführen wollte hätte sie das sicher längst verraten, oder? Auch scheinen die zahlen, die sich rechnerisch für das Loft- Verfahren ergeben, sehr hoch. Irgendetwas stimmt nicht mit diesen Zahlen.

  Bedarfs-
prognose
Nutzungs-
planung
Nordhorn
Nutzungs-
planung
Siegenburg
Nutzungs-
planung
Wittstock
Nutzungs-
planung
Ausland
Nutzungs-
planung
Truppenübungs-
plätze
Standardeinsätze bei Tag (ohne Loft) 192 750  200 Unklar; eigentlich Bedarf gedeckt durch Planzahlen Nordhorn und Siegenburg  0 ?
Standardeinsätze auch beiNacht (ohne Loft) 726 0 0 ?

 

Loft 1794?* 0 0 Max. 1762* 0 ?
Taktische Einsätze

 

1338 0 0 988 350
Summe 4050 750 200  1000  1750 350
Obergrenze ** ? 1000 300  1700  ? 600

 Alle fett gedruckten Zahlen sind unmittelbar aus dem Papier der Bundeswehr übernommen.
* errechnet, Differenz aus Summe der geplanten Nutzungen und genannten Bedarfszahlen ohne Loft-Verfahren
** bei Erhöhung der Einsatzzahlen durch Vorbereitung auf konkrete Einsätze und aktuelle Krisen

Zu Luftwaffenübungen auf anderen Truppenübungsplätzen

Im Konzept ist angegeben, dass die komplexen taktischen Verfahren im Zusammenspiel mit Bodentruppen auf den Luft/Boden-Schießplätzen Nordhorn und Siegenburg nicht geübt werden können; nur Wittstock sei dafür groß genug. Aktuell werden solche Übungen in Deutschland laut Konzept auf verschiedenen Truppenübungsplätzen durchgeführt. Genannt sind Bergen, Munster, Heuberg, Grafenwöhr, Baumholder, Klietz und Oberlausitz (S. 6). Diese Angabe ist unvollständig. Wir wissen, dass taktische Übungen zum Zusammenwirken von Luft- und Bodenstreitkräften auch auf dem Truppenübungsplatz Altmark (Colbitz-Letztlinger Heide) durchgeführt wurden. Erst im April 2008 setzte die Bundeswehr dort ein Manöver an, bei dem Tornado-Besatzungen den Begleitschutz von Fahrzeugkolonnen aus der Luft üben sollten. Eine Klage des NABU stoppte dieses Manöver. Laut Augenzeugenberichten finden dort seit ca. sechs Jahren auch Übungen statt, bei denen gecharterte zivile Flugzeuge Übungsbomben auf Panzer abwerfen, die wiederum die Flugabwehr üben. (Streng genommen kein Zusammenwirken sondern das Gegenteil.) Merkwürdig, dass gerade dieser Platz nicht genannt ist.

Sechs der insgesamt 25 Truppenübungsplätze in Deutschland sind größer als als "Bombodrom". Dort seien die Übungen aber auf bestimmte taktische Verfahren eingeschränkt. Daneben betreibt die Bundeswehr auch noch 78 so genannte Standort-Übungsplätze und zahlreiche weitere Schießplätze, darunter den SchPl Meppen, der mit 192 km2 der größte Schießplatz Europas ist.

Die Truppenübungsplätze haben gigantische Ausmaße. Die im Konzept genannten sind:Bergen 284 km2, Munster-Süd 74 km2, Munster-Nord 102 km2, Heuberg 160 km2, Grafenwöhr 226 km2, Baumholder 118 km2, Klietz 91,5 km2, Oberlausitz 163 km2

Nicht genannt sind beispielsweise: Senne 116 km2 (unter britischer Verwaltung), Altmark (Colbitz-Letztlinger Heide) 232 km2, Haltern 32 km2 (unter britischer Verwaltung) und der SchPl Meppen 192 km2.

Alleine diese genannten Übungsplätze haben insgesamt eine Größe von 1.758,5 km2.

Es gibt keinen „Plan B“

Im Konzept heißt es auf Seite 3:

„Auf der Grundlage der Verteidigungspolitischen Richtlinien unterliegen die Fliegenden Verbände der Luftwaffe im Rahmen multinationaler Verpflichtungen (z.B. für die NATO Response Force - NRF) zum Teil höchsten Bereitschafts- und Verfügbarkeitsforderungen. Nur durch das kontinuierliche und realitätsnahe Ausbilden und Üben der unterschiedlichen Einsatzrollen und Waffeneinsatzverfahren in anspruchsvollen und komplexen Einsatzszenarien im täglichen Flugbetrieb kann die geforderte hohe Einsatzbereitschaft und schnelle Einsatzfähigkeit der Luftfahrzeugbesatzungen aufrecht erhalten werden."

Der Betrieb eines Luft/Boden-Schießplatzes auf dem ehemaligen Bombodrom in Wittstock wird als unverzichtbar dargestellt. Die Bundeswehr scheint nicht die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass sie auch in den kommenden Verhandlungen in 2. und 3. Instanz unterliegen könnte – oder aber sie hat nicht die Absicht, ein „Nein“ als Antwort zu akzeptieren.

 

Wir freuen uns über Hinweise zur Ergänzungen und/oder Korrektur unserer Analyse.